Farbtafeln

Text: Jana Vanecek

Die erste Impression, welche der Rezipient von Barbara Ernsts Malerei gewinnt, ist die Vorstellung von Farbe, Fläche und Struktur. Ihre Bilder sind ein kunstvolles Arrangement von einzelnen Elementen zu einem tonvollen Ganzen und wirken wie ein gut komponiertes Musikstück, welches im Betrachter Sehnsüchte und alte Erinnerungen weckt.

Auf den ersten Blick haben die Werke keinen direkten Bezug zur Aussenwelt. Sie sind gegenstandslos. Es gibt keine klaren Bildmotive, die eine Verbindung zum Betrachter herstellen könnten. Ihre Ästhetik scheint autonom im Bildträger isoliert, wie ein von der Realität gänzlich abgesetztes Ganzes.

Dabei holt sich Babs Ernst ihre Inspiration, wie sie selbst sagt, aus der Natur und ihrer unmittelbaren Umgebung, welche sie genauestens beobachtet. Dabei konzentriert sie sich auf das eher Unspektakuläre. Es sind kleine Ausschnitte von Oberflächen wie Mauern, Häuserfassaden, Moosgeflechte oder rostige Güterzüge. Wie ein Löschblatt saugt sie diese Oberflächen auf, abstrahiert sie und wandelt sie in die einzelnen Farbtafeln um.

Alle Bilder sind von sparsamer Komposition, die sich durch heterogen gefüllte Farbfelder auszeichnet. Im Dekalkomanieverfahren werden mehrere unregelmässige Farbschichten übereinander aufgetragen, bis das gewünschte Ziel erreicht ist. Dadurch entsteht diese Tiefe und eine reiche, durchscheinende, in ihren Nuancen changierende Farbigkeit, die für ihre Farbfelder so typisch ist.

Als drittes Element kommt nun das Licht hinzu. Die Farbschichten gepaart mit Licht und die damit wachgerufene räumliche Wirkung ist ein wesentliches Gestaltungselement in ihrer Arbeit. Das Licht ruft hier nicht nur Farbe hervor, sondern ist selbst eine miteinbezogene Farbe. Die dadurch erreichte Stimmigkeit fungiert als Balance der zum Ganzen komponierten Teile und macht den Bodensatz des Ästhetischen aus, der hier zählt.

Auch wenn sich die Farbtafeln hart voneinander abgrenzen, da jeder Ton auf einem eigenen Bildträger fungiert, sind sie im Grunde genommen ein sehr luftiges Rendez-vous. Diese gegenseitige Reflektion wird erreicht, indem die Künstlerin die auf jeder Tafel befindlichen Farbtöne auf der anschliessenden durch eine harmonische Handhabung und sensible Arrangierung in einer der vielen Schichten wiederholt.

Jene Ausdehnung lässt dem Betrachter, den Ernst ganz bewusst als viertes Element im Bildraum mit einbezieht, genug Entwicklungsmöglichkeiten für eigenes Gedankenspiel. Man könnte auch sagen, dass die Bilder durch ihre klare Einfachheit seinen Ideenreichtum herausfordern und dadurch eine intensive Beziehung aufnehmen, eine geistige Interaktion, die Zeit braucht und auf den ersten Blick nicht wahrnehmbar ist.

© Babs Ernst 2024